Dass die Augen die Fenster der Seele sind, wusste die Benediktinerin und Universalgelehrte Hildegard von Bingen schon vor etwa 900 Jahren. Aber was verraten sie uns? Ich wollte es wissen und habe seit Oktober 2014 bis heute fast 200 jugendliche Flüchtlinge in München portraitiert. Dabei habe ich viel Leid, aber auch viel Hoffnung gesehen. Mancher der Jugendlichen – fast alles Jungen – hat mir seine Geschichte erzählt, wie er nach Deutschland gekommen ist: aus Afrika, durch die Wüste, übers Meer; durch den Iran, die Türkei, den Balkan; mit dem Lkw, dem Zug, zu Fuß; mit der Fähre, im Schrottkahn, im Gummiboot.
Viel haben sie gesehen und erlebt, was Jugendliche und Kinder – die sie eigentlich noch sind, aber schon lange nicht mehr sein dürfen – niemals sehen sollten: Verdurstete in der Sahara, Ertrinkende im Mittelmeer, Prügelpolizisten in Europa. Sie haben mir ihre Narben gezeigt: von Steck- und Durchschüssen aus Taliban-Gewehrläufen, von Granatsplittern aus Homs oder Damaskus, von Prügeln aus lybischen Gefängnissen – und ich mag mir nicht vorstellen, was den Tausenden zugestoßen ist, die es nicht nach Europa geschafft haben. Mancher hat mich auch kurz auf andere Wunden blicken lassen, die noch lange Zeit offen liegen: etwa die Qualen eines Jungen, der seine beiden lybischen Gefängnisaufseher erschossen hat, um fliehen zu können.
Seit beim sogenannten „arabischen Frühling“ die auch mit deutschen Waffen gesponserten Regime nordafrikanischer Staaten zusammengefallen sind, kommen immer mehr Flüchtlinge nach Europa. Das verleitet manchen Politiker zu perfiden Gedankenspielen. Die UNESCO und andere Organisationen setzen zwar häufig dagegen, werden aber nicht immer gehört.
Nicht nur bundesdeutschen (Ex-)Politikern wie Otto Schily oder Thomas de Mazière würde ich gern vor die Füße speien ob ihrer widerlichen Rhetorik. Es geht aber auch anders. Deshalb setze ich künstlerisch an: Mein Tryptichon „Verlorene Jugend auf der Suche nach Zukunft“ war Teil der Ebersberger Jahresausstellung 2015. An dieser Stelle will ich das Werk für das Netz aufbereiten. In regelmäßigen Abständen veröffentliche ich meine Augen-Bilder und Texte zum Thema unter dem Stichwort „Nur einen Augenblick“. Ich freue mich auf Kommentare und regen Austausch.